
Muttersein wird oft als das größte Glück der Welt beschrieben – ein Geschenk, das Frauen erfüllt und ihnen ihren „natürlichen Lebenssinn“ gibt. Doch was, wenn die Realität ganz anders aussieht? Was, wenn sich unter dem gesellschaftlich aufgeladenen Ideal des Mutterseins Überforderung, Einsamkeit und strukturelle Benachteiligung verbergen?
Wir haben fünf Frauen – zwischen 26 und 74 Jahren – gebeten, ehrlich zu erzählen, was sie am Muttersein lieben, was sie daran zerreißt und was sie sich von Partnern, Gesellschaft und Politik wünschen. Die Antworten sind klar, klug – und stellen viele Vorstellungen radikal infrage.
1. Muttersein: Ideal und Realität

Das Mutterbild ist überladen mit Erwartungen: Fürsorglich, geduldig, liebevoll – und dabei möglichst belastbar. Viele Mütter erleben diesen Druck als erdrückend, auch wenn sie ihre Kinder über alles lieben. Die sozialen Medien verstärken dabei häufig eine Illusion vom perfekten Familienleben.
Doch hinter geschlossenen Türen sieht der Alltag anders aus. Für diesen Text haben wir Mütter verschiedener Generationen befragt, was sie am Muttersein wirklich herausfordernd finden – nicht selten sind es äußere Umstände und nicht die Kinder selbst, die sie an ihre Grenzen bringen.
2. Liebe und Überforderung

Eine erschütternde Erkenntnis, die einige Mütter teilen: Wären sie heute noch einmal vor der Entscheidung, würden sie sich gegen Kinder entscheiden. Nicht aus mangelnder Liebe, sondern wegen fehlender Wertschätzung, Überlastung und strukturellen Problemen.
Eine DIW-Studie zeigt: Ein Drittel der Mütter leidet nach der Geburt unter sinkendem psychischen Wohlbefinden. Die Gesellschaft blendet oft aus, wie anspruchsvoll das Muttersein wirklich ist. Umso wichtiger ist es, die Stimmen der Betroffenen zu hören – besonders zum Muttertag.
3. „Ich würde es wieder tun – aber nicht alle sagen das.“

Während Petra (39) ihre späte Mutterschaft sehr bewusst gewählt hat und ihre Tochter als große Bereicherung erlebt, sieht das bei Sara (26) ganz anders aus. Für sie war die Erfahrung von Anfang an ernüchternd: „Die Realität wird stark romantisiert und hat mit meinen Erfahrungen wenig zu tun.“
Auch Franziska (74) blickt ambivalent zurück – mit dem Herzen ja, mit dem Verstand zögert sie. Mutterschaft ist keine rein emotionale Entscheidung, sondern oft von Erwartungen, Hormonen und Lebensumständen geprägt.
4. Drei Kinder – aber zu welchem Preis?

Anna (59) hat drei Kinder – und heute eine Pension von knapp 500 Euro. „Mit dem dritten Kind war Vollzeitarbeit nicht mehr möglich“, erklärt sie. Damals schien das akzeptabel, heute bereut sie es. Auch Sara (26) sagt: „Mit meinem heutigen Wissen hätte ich mich anders entschieden.“
Die finanzielle Unsicherheit und mangelnde Unterstützung werfen Fragen auf, ob Kinderplanung in jungen Jahren unter fairen Voraussetzungen stattfindet. Franziska (74) hingegen wollte gezielt zwei Kinder – und bekam genau das. Petra (39) hält sich offen, ob ihre Familie noch wächst.
5. Unterstützung – ein oft einseitiges Konzept

Valentina (35) ist alleinerziehend und arbeitet im Schichtdienst – Hilfe vom Vater? Fehlanzeige. „Mütter müssen funktionieren – egal ob sie können oder nicht“, sagt sie. Auch Sara (26) beschreibt, wie der unsichtbare Mental Load fast komplett an ihr hängen bleibt: Kinderkleidung, Termine, Essen – sie denkt an alles.
Anna (59) sieht heute klarer: „Ich war oft am Limit, hätte mehr Hilfe fordern müssen.“ Petra (39) empfindet die Aufteilung mit ihrem Mann als fair. Franziska (74) fordert: Nicht Unterstützung, sondern echte Gleichberechtigung.
6. Was hindert Männer daran, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Für viele Partner ist es laut den Müttern schlicht Bequemlichkeit oder Unwissen über die Belastung. Sara (26) nennt auch finanzielle Abhängigkeit und starre Arbeitszeiten als Hindernis. Petra (39) fordert verkürzte Vollzeitmodelle, um Aufgaben besser aufteilen zu können.
Franziska (74) sieht ein strukturelles Problem: Solange Männer mehr verdienen, wird ihre Arbeit als wichtiger gewertet – und Kindererziehung bleibt Frauensache. Auch wenn sich einiges verbessert habe, von Gleichstellung könne noch keine Rede sein. Die ökonomische Realität behindert familiäre Gleichberechtigung oft nachhaltig.
7. Was der Staat dringend ändern sollte

Die Antworten der Mütter auf diese Frage sind eindeutig: Mehr Kinderbetreuung, bessere Arbeitszeitmodelle und finanzielle Anerkennung von Care-Arbeit. Valentina (35) spricht für viele Alleinerziehende, wenn sie sagt: „Ich brauche Betreuung auch nachts – die gibt es aber nicht.“
Franziska (74) hebt hervor, wie sehr Karrierechancen und Gehaltsunterschiede noch immer Familienentscheidungen beeinflussen. Petra (39) fordert eine systematische Aufwertung der unbezahlten Arbeit von Müttern. Auch Anna (59) wünscht sich: Mehr echte Unterstützung statt bloßer Aufbewahrung der Kinder – und das von Anfang an.
8. Was bleibt: Wertschätzung statt Rosen zum Muttertag

Was sich alle befragten Mütter wünschen, ist mehr Anerkennung für das, was sie leisten – nicht nur symbolisch, sondern strukturell. Der Muttertag sei oft ein Tag, an dem Blumen verschenkt werden – doch Dank allein reicht nicht, wenn der Alltag nicht tragbar ist.
Junge Frauen sollen wissen, dass es erlaubt ist, eigene Bedürfnisse zu haben und nicht nur „Mama“ zu sein. Muttersein ist großartig – aber es braucht endlich die Unterstützung, die dieser Rolle gerecht wird.