
Es gibt Krankheiten, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind – und doch das gesamte Leben verändern. Für Betroffene bedeutet jeder Tag eine neue Herausforderung, jeder Moment will genau geplant sein. Die eigene Energie reicht oft nicht für Dinge, die für andere selbstverständlich sind. In einer Welt, in der Leistung zählt, wirkt diese ständige Erschöpfung wie ein unsichtbares Hindernis. Was bedeutet es, in einem Körper zu leben, der sich ständig leer anfühlt? Und wie verändert das den Alltag, die Karriere, das soziale Umfeld?
Ein Blick hinter die Fassade zeigt, dass die Unsichtbarkeit der Symptome oft zu Missverständnissen führt – selbst bei Ärzt*innen. Erst nach und nach wird klar, wie viel Kraft nötig ist, um überhaupt darüber zu sprechen.
1. Wenn Müdigkeit mehr als Müdigkeit ist

Ein bisschen müde – das kennt jeder. Doch was passiert, wenn die Erschöpfung nicht weggeht, selbst nach Tagen oder Wochen? Wenn sogar kleine Aufgaben zu einer Qual werden? Viele Menschen mit ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) müssen genau damit leben. Außenstehenden fällt es oft schwer zu verstehen, was das bedeutet.
Die Krankheit ist nicht sichtbar, sie wirkt auf den ersten Blick wie ein Burn-out oder eine Phase der Schwäche. Doch wer betroffen ist, weiß: Dahinter steckt weit mehr. Die Kraft, alltägliche Dinge zu bewältigen, fehlt oft völlig. Es geht nicht um Faulheit – es geht um einen Körper, der nicht mehr mitspielt.
2. Energie als begrenzte Ressource

Betroffene wie Marina Weisband berichten von einem Alltag, der minutiös geplant werden muss. Jeder Schritt kostet Kraft, jedes Interview oder jeder Auftritt hat Konsequenzen. Die Folge: Tage, manchmal sogar Wochen im Bett. Der Körper reagiert auf Überlastung mit sogenanntem „Crash“ – ein Zusammenbruch, bei dem gar nichts mehr geht.
Selbst kurze Aktivitäten können diesen Zustand auslösen. Dabei sieht man den Betroffenen oft nichts an. Marina Weisband beschreibt es als ständiges Schauspiel – denn man will funktionieren, wirken, dabei sein. Doch die Energie reicht meist nur für eine Stunde. Danach beginnt ein Kampf mit dem eigenen Körper, der selten endet.
3. Hilfsmittel als Schlüssel zur Freiheit

Ein elektrischer Rollstuhl, ein Gehstock, ein Kissen in der Handtasche – was auf den ersten Blick ungewöhnlich klingt, ist für viele Betroffene essenziell. Marina Weisband etwa hat sich ihre eigene Lösung geschaffen: eine Tasche, die gleichzeitig als Kissen dient. Denn manchmal muss sie sich einfach auf den Boden legen, wenn die Kräfte schwinden.
Der Rollstuhl hat ihr wieder Momente geschenkt, die lange unmöglich waren – Spaziergänge mit der Familie oder Museumsbesuche. Es sind oft kleine Hilfsmittel, die große Lebensqualität zurückgeben. Doch sie zeigen auch, wie sehr das Leben durch die Krankheit eingeschränkt ist – und wie kreativ man werden muss, um sich Freiräume zu schaffen.
4. Wenn Ärzte erst lernen müssen

Ein häufiges Problem für Menschen mit ME/CFS ist die medizinische Versorgung. Viele Ärzt*innen erkennen die Krankheit nicht oder verharmlosen sie als Stress. Marina Weisband hatte Glück: Ihr Arzt diagnostizierte frühzeitig. Doch viele Betroffene berichten, dass sie jahrelang falsch behandelt wurden.
Besonders Frauen trifft es hart – sie hören oft, sie seien überfordert oder zu sensibel. Das Problem liegt in der mangelnden Ausbildung: ME/CFS wird an vielen medizinischen Fakultäten kaum gelehrt. Die Folge: eine große Unsicherheit bei Diagnosen und Therapien. Dabei wären frühzeitige Anerkennung und passende Behandlungsansätze entscheidend für den Verlauf der Krankheit.
5. Die Pandemie hat alles verändert

Seit der Corona-Pandemie ist ME/CFS sichtbarer geworden. Tausende Menschen leiden seither an Langzeitfolgen einer Infektion – viele davon entwickeln Symptome, die typisch für ME/CFS sind. Das hat das Bewusstsein in der Gesellschaft verändert. Vorher war die Erkrankung ein Randthema, heute kennt fast jeder jemanden, der betroffen ist.
Auch Marina Weisband beobachtet diese Entwicklung. Plötzlich hören ihr mehr Menschen zu, wenn sie über ihre Krankheit spricht. Doch das wachsende Interesse bedeutet auch: Die Zahl der Betroffenen steigt rasant. Das Gesundheitssystem ist auf diese Entwicklung nicht vorbereitet – und das spüren vor allem die Erkrankten.
6. Der lange Weg zur Anerkennung

ME/CFS ist nicht offiziell heilbar – und trotzdem müssen viele Betroffene lange kämpfen, um überhaupt anerkannt zu werden. Leistungen wie der Behindertenstatus oder Hilfsmittel werden nur nach intensiven Prüfungen bewilligt – wenn überhaupt. Marina Weisband berichtet, dass sie ihren Rollstuhl selbst bezahlt hat, weil ihr die Kraft für die Antragsprozesse fehlte.
Das zeigt: Die Hürden sind besonders hoch für Menschen, die eigentlich entlastet werden müssten. Viele von ihnen bleiben auf sich gestellt, ohne angemessene Hilfe. Die Folge: Isolation, finanzielle Sorgen, psychische Belastung. Ein System, das eigentlich helfen soll, verstärkt das Leiden.
7. Zwischen Sichtbarkeit und Stigma

Warum spricht Marina Weisband so offen über ihre Krankheit? Weil sie es muss, sagt sie selbst. Als bekannte Persönlichkeit will sie Bewusstsein schaffen – auch wenn es sie viel Kraft kostet. Noch immer sei das Stigma groß, besonders bei jungen Frauen. Ihnen werde oft nicht geglaubt. Doch nur wenn Betroffene sichtbar sind, kann sich etwas ändern.
Marina will zeigen, dass ein Leben mit ME/CFS möglich ist – aber auch, wie schwer es sein kann. Ihre öffentliche Stimme gibt vielen anderen Mut. Gleichzeitig fordert sie mehr Verantwortung von Politik und Gesellschaft ein. Denn Krankheit darf nicht länger im Dunkeln bleiben.
8. Drei klare Forderungen

Marina Weisband hat klare Wünsche: Mehr Forschung, bessere Versorgung, gezielte Aufklärung. Die medizinische Ausbildung muss angepasst werden, damit Ärzt*innen die Krankheit erkennen und ernst nehmen. Zudem braucht es spezielle Reha-Angebote – denn viele Betroffene werden derzeit in Programme gesteckt, die ihre Krankheit verschlimmern.
Aktivierende Maßnahmen, die bei anderen Erkrankungen helfen, sind bei ME/CFS kontraproduktiv. Auch der Zugang zu Hilfsmitteln und sozialen Leistungen muss vereinfacht werden. Marina weiß: Ihre Stimme allein wird das System nicht verändern. Doch sie hofft, ein Anstoß zu sein – für mehr Verständnis, mehr Hilfe und mehr Hoffnung.